Nudging – Der sanfte Schubs, der uns mehr beeinflusst, als wir denken
- juliandodaj
- 14. Mai
- 4 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 5. Nov.
Stell dir vor, du öffnest TikTok. Du willst nur kurz reinschauen und plötzlich bist du eine halbe Stunde später immer noch dran. Zwischendurch hast du einen Link angeklickt, der dich zu einem "Mega-Angebot" geführt hat. Du denkst: "Warum eigentlich?" Die Antwort lautet oft: Nudging.
Was ist Nudging?
Nudging (englisch für "anstupsen") beschreibt subtile, psychologisch geschickte Methoden, mit denen Menschen zu bestimmten Entscheidungen geleitet werden, ohne dass ihnen Optionen weggenommen werden. Du behältst die Freiheit zu entscheiden, aber die Umgebung oder Darstellung beeinflusst dich unmerklich. (Thaler & Sunstein, 2008) Die Idee wurde von Richard Thaler und Cass Sunstein entwickelt, zwei Verhaltensökonomen, die 2017 für ihre Forschung sogar den Wirtschaftsnobelpreis erhielten.
Wichtig: Nudging ist nicht per se schlecht. Es kann genutzt werden, um Menschen zu gesünderem Verhalten zu bringen (Arno & Thomas, 2016), (z.B. mehr Wasser trinken oder weniger Zucker essen). Doch im Marketing wird es oft genutzt, um dich zu Käufen zu verleiten, die du sonst nicht oder nicht so spontan getätigt hättest.

Wie funktioniert Nudging konkret?
Nudging funktioniert durch gezielte Gestaltung von Entscheidungen. Hier ein paar Beispiele :
Default-Einstellungen: Du lädst dir eine App herunter und bist automatisch für den Newsletter angemeldet. Viele Menschen ändern diese Einstellung nicht (Bonander et al., 2023).
Vereinfachung: Umso einfacher etwas dargestellt wird, desto ansprechender wird das Produkt für dich, ohne dass du aktiv manipuliert wurdest (John, 2018).
Gesellschaftliche Normen: Wir tendieren dazu Dinge zu akzeptieren, wenn es die Mehrheit der Menschen auch macht. Dies geschieht oftmals, wenn dir ein Unternehmen sagt wie viele der Kunden mit dem Produkt zufrieden sind (Hoover, 2022).
Warnhinweis: Wenn du siehst, was für gravierende Folgen ein Produkt für dich haben kann, wirst du wahrscheinlicher nicht davon Gebrauch machen. Das beste Beispiel sind Zigaretten mit ihren Warnbildern auf der Verpackung (Pang et al., 2021).
Nudging auf Social Media: Ein Fall für Jugendliche
Gerade Jugendliche sind auf Plattformen wie TikTok, Instagram oder Snapchat ständig potenziellen Nudges ausgesetzt. Hier einige typische Situationen:
Du bekommst eine Push-Nachricht: "XY hat ein neues Video hochgeladen!" → Du klickst direkt, ohne über dein Zeitmanagement nachzudenken.
Du siehst einen Creator mit stylischer Kleidung und unten steht: "Sponsored by ..." → Du klickst auf den Link und landest im Shop.
Story-Ads mit einem Zeitlimit ("Swipe up, bevor es endet!") → Das erzeugt Stress, etwas nicht zu verpassen (FOMO).
Diese "Schubser" sind nicht unbedingt böse gemeint, aber sie zielen darauf ab, dein Verhalten zu lenken, ohne dass du es merkst.
Warum ist das problematisch?
Das Gefährliche an Nudging ist, dass es oft unterbewusst wirkt. Es gibt keine klare Werbung, kein Zwang, nur subtile Hinweise. Dadurch entsteht eine Schein-Freiheit: Du denkst, du entscheidest selbst, tust es aber unter starkem Einfluss (Weber & Schäfer, 2017).
Viele Jugendliche berichten, dass sie Dinge kaufen, die sie später bereuen. Oder dass sie am Ende des Tages gar nicht wissen, wie viel Zeit und Geld sie auf Social Media "verbraucht" haben. Unternehmen nutzen das gezielt aus.
Eine weitere Gefahr sind Sludges. Das sind z.B. Verkomplizierungen von Informationen, welche dich vom Kauf abbringen könnten. Beispiele dafür wären: Das automatische Weiterlaufen eines Abonnements bei nicht Kündigung, Hypothekenkonditionen oder auch Konditionen bei Netzanbietern. Kurzgesagt: Das Kleingedruckte (Reisch, 2020).
Wie kannst du dich davor schützen? (Jetzt kommt das Wichtige!)
Hier sind konkrete Tipps, mit Beispielen aus dem Alltag:
1. Erkenne die "Tricks"
Je besser du weisst, wie Nudging funktioniert, desto eher erkennst du es. Wenn du z. B. in einem Onlineshop eine Uhr mit "Bestseller"-Label siehst, stell dir bewusst die Frage: Will ich diese Uhr wirklich? Oder beeinflusst mich gerade das Label?
2. Setz dir eigene Standards
Erstelle z. B. eine Regel für dich: "Ich warte 24 Stunden, bevor ich etwas über 20 CHF kaufe." Das klingt banal, aber solche Regeln helfen gegen Impulsentscheidungen.
3. Deaktiviere Push-Benachrichtigungen
Jede Notification ist ein Mini-Nudge. Überlege dir: Welche Apps dürfen mich wirklich stören? Vielleicht Instagram ja, aber TikTok nur abends? Weniger Störung = mehr Kontrolle.
4. Nutze Tools
Apps wie "Forest", "Screen Time" (iOS) oder "Digital Wellbeing" (Android) zeigen dir, wie oft du bestimmte Apps nutzt. Das kann ein Augenöffner sein.
5. Denk laut
Sprich Entscheidungen laut aus: "Ich kaufe das jetzt, weil ...". Wenn du keine gute Begründung hast, ist es vielleicht kein guter Kauf.
6. Hinterfrage Influencer-Inhalte
Wenn dir jemand ein Produkt zeigt: Fragt dich selbst, ob der Inhalt authentisch ist oder einfach Werbung. Viele Influencer müssen Kooperationen als Werbung kennzeichnen. Achte darauf!
7. Teile Erfahrungen
Sprich mit Freund:innen darüber, wenn du das Gefühl hast, manipuliert worden zu sein. Du wirst merken: Du bist nicht allein. Das Bewusstsein in der Gruppe zu schärfen hilft allen.
Fazit
Nudging ist ein stiller Mitspieler in unserem Alltag. Besonders auf Social Media merken wir oft gar nicht, wie stark unser Verhalten beeinflusst wird. Aber: Wer sich bewusst macht, wie Nudging funktioniert, kann sich davor schützen.
Unser Ziel mit diesem Text ist es, dass du beim nächsten "Kauf-Impuls" einen Moment innehältst und denkst: "Werde ich hier gerade geschubst?" Wenn ja, dann hast du den ersten Schritt gemacht.
Quellen:
Arno, A., & Thomas, S. (2016). The efficacy of nudge theory strategies in influencing adult dietary behaviour: a systematic review and meta-analysis. BMC public health, 16(1), 676. https://doi.org/10.1186/s12889-016-3272-x
Bonander, C., Ekman, M., & Jakobsson, N. (2023). When do default nudges work?. Oxford Open Economics, 2, odad094. https://doi.org/10.1093/ooec/odad094
Hoover, H. (2022). Nudges as norms: Evidence from the NYC taxi cab industry. Journal of Economic Psychology, 92, 102535. https://doi.org/10.1016/j.joep.2022.102535
John, P. C. H. (2018). How best to nudge taxpayers? The impact of message simplification and descriptive social norms on payment rates in a central London local authority. Journal of Behavioral Public Administration, 1(1), 1-11. Article 1. Advance online publication. https://doi.org/10.30636/jbpa.11.10
Pang, B., Saleme, P., Seydel, T., Kim, J., Knox, K., & Rundle-Thiele, S. (2021). The effectiveness of graphic health warnings on tobacco products: a systematic review on perceived harm and quit intentions. BMC Public Health, 21(1), 884. https://doi.org/10.1186/s12889-021-10810-z
Reisch, L. A. (2020). Nudging hell und dunkel: Regeln für digitales Nudging. https://doi.org/10.1007/s10273-020-2573-y
Leonard, T. C. (2008). Richard H. Thaler, Cass R. Sunstein, Nudge: Improving Decisions about Health, Wealth, and Happiness: Yale University Press, New Haven, CT, 2008, 293 pp, $26.00. https://doi.org/10.1007/s10602-008-9056-2
Weber, F., & Schäfer, H. B. (2017). 'Nudging', ein Spross der Verhaltensökonomie-Überlegungen zum Liberalen Paternalismus auf Gesetzgeberischer Ebene ('Nudging', the Vehicle of Behavioural Economics-Some Thoughts on Libertarian Paternalism). Available at SSRN 2920479. http://dx.doi.org/10.2139/ssrn.2920479




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